Nomen Nescio
2004-07-19 15:49:12 UTC
Im Thread "Deschner- Kritik" haben schon andere darauf hingewiesen,
daß die Behauptung Deschners, die Hexenverfolgung habe neun Millionen
Menschen das Leben gekostet, ein negatives Licht auf seine
Verläßlichkeit als Historiker wirft. Ich möchte das etwas
detaillierter begründen.
Konstruktive Kritik und Ergänzungen sind herzlich willkommen!
**Der Mythos Deschner**
Ist Deschner als Historiker verläßlich? Wenn man seinen Verteidigern
trauen dürfte, sogar mehr als man dies von einen Wissenschaftler
normalerweise erwarten würde:
Frank Markopoulos <***@t-online.de> in message
<***@fm666.dialin.t-online.de>:
Deschner _ist_ nicht zu widerlegen - das klappt nur mit ad-personam-
Attacken und hilfloser Häme.
Die "Unwiderlegbarkeit" Deschners ist ein Topos der
Deschnerverteidigung. Ein paar Beispiele:
Ein gewisser Engelbert Blaß schrieb in einer Kundenrezension bei
Amazon, die von ungefähr 25 weiteren Online-Buchhandlungen übernommen
wurde:
Bezeichnend ist, daß Deschner bis zum heutigen Tage niemals ein von
ihm niedergeschriebener geschtlicher Fakt widerlegt werden konnte.
Ähnlich ein weiterer Rezensent (welscherpaulus2s) bei Amazon:
Deschner ist berühmt, ja geradezu berüchtigt, für seine
Detailkenntnisse, die auch in diesem Fall (wie bei sämtlichen seiner
Werke zuvor) nicht zu entkräften sein werden.
Ein gewisser HJ, im Rundbrief vom Juli 2000 des Internationaler Bund
der Konfessionslosen und Atheisten weiß folgendes:
Der bekannte Kirchenhistoriker Karlheinz Deschner, bei dem sich laut
Ankündigung der Lokalzeitung "die Geister scheiden", dem aber, da er
vorzugsweise aus christlichen Quellen zitiert, zum Leidwesen der
Kirchen keine Falschdarstellung nachgewiesen werden kann, hatte am
Mittwoch, den 3. November 1999 einen Auftritt [...] in Bochum.
Der Topos ist aber älter und wurde auch von bekannteren Autoren
benutzt, die auf der "in Zusammenarbeit mit Dr. Karlheinz Deschner"
erstellten Webseite http://www.deschner.info zitiert werden.[1]
So Prof Dr. med. Hoimar von Ditfurth:
Keinem einzigen der von Deschner reportierten historischen Fakten
ist kirchlicherseits bisher widersprochen worden!
Oder Prof. Dr. med. Udo Köhler:
Da diese dunkle, meist verschwiegene, bei Bedarf aber auch
glorifizierte, immer jedoch verfälschte Seite der Geschichte noch
nie auf der Basis unanfechtbarer Fakten wissenschaftlich exakt
dargestellt und ethisch unanfechtbar kritisiert worden ist, gebührt
dem Autor für seine Arbeit an diesem gewaltigen, zutiefst humanen
Projekt der Dank der gesamten kultivierten Menschheit.
Und Lieselotte von Eltz-Hoffmann:
Die geradezu atemberaubenden Schilderungen, deren Tatsachengehalt
nicht bestritten werden kann, stellen eine einzige unerbittliche
Anklage gegen das Christentum dar [...]
Vorsichtiger Prof. Dr. Friedrich Heer:
Was das Sachliche anbetrifft, so dürfte es schwerhalten, Deschner
fehlerhafte Behauptungen nachzuweisen.
Und Peter Roos:
Gegen diese schlimme Faktensammlung wird historisch nur schwer zu
argumentieren sein.
Hoimar von Ditfurth wird auch auf dem Klappentext von "Der Moloch -
eine kritische Geschichte der USA" mit einer kleinen, bemerkenswerten
Variation angeführt:
Keinem einzigen der von Deschner reportierten historischen Fakten
ist bisher widersprochen worden
An dem Topos ist Deschner wahrscheinlich nicht ganz
unschuldig. Abgesehen, daß er entsprechende Äußerungen auf seiner
Webseite anführt und in Klappentexten verwenden läßt, ist er
möglicherweise sogar der Ursprung des Mythos. Jedenfalls hat er im
Vorwort zur zweiten und dritten Auflage von "Abermals krähte der Hahn"
ausgeführt:
Da bisher an meiner Darstellung nichts widerlegt worden ist, ist
auch nichts zu ändern.
Dieses Vorwort findet sich unverändert in der Auflage von 1972, und da
auch in dieser inhaltlich nichts geändert wurde, könnte ja man
vermuten, daß bis dahin noch immer nichts widerlegt wurde. In der
weiter (inhaltlich) unveränderten Taschenbuchauflage von 1996 findet
sich diese Vorwort nicht mehr, aber dafür preist der Verlag auf der
Vortitelseite das Buch mit folgenden Worten an:
Denn nicht nur die Fülle der vorgelegten Fakten und die
unwiderlegbaren Quellen, sondern auch sein unerschrockener Mut
machen dieses Werk zu einem geistigen Ereignis von unbestreitbarer
Bedeutung.
Und auf der Rückseite wird noch die Aktualität betont:
Die Fülle der vorgelegten Fakten [...] machen dieses Buch zu einem
ebenso aktuellen wie unverzichtbaren Standardwerk der
Kirchengeschichte.
**Ein "Faktum"**
Natürlich sind Behauptungen wie die von Hoimar von Ditfurth oder
Engelbert Blaß bei einem Werk vom Umfang der historischen Arbeiten
Deschners und angesichts des Alters einiger dieser Arbeiten einfach
eines: lächerlich. Natürlich wurden vielen angeblichen Fakten
widersprochen und wurden einige, soweit das in der historischen oder
exegetischen Forschung überhaupt möglich ist, widerlegt.
Ein solches Faktum möchte ich hier betrachten.
Auf Seite 487 der Ausgabe von 1972 schließt Deschner ein Zitat aus der
Bulle "Summis desiderantes affectibus" mit folgendem Satz ab:[2]
Das war die Stimme vom Heiligen Stuhl, der, so rechnet man, neun
Millionen Menschen schuldlos zum Opfer fielen.
Deschner macht sich also die Behauptung zu eigen, der Hexenverfolgung
seien neun Millionen Menschen zum Opfer gefallen.
Wenn wir einmal davon absehen, daß schon die monokausale
Schuldzuschreibung _aller_ Opfer der Hexenverfolgung an den Heiligen
Stuhl historisch unhaltbar ist,[3] ist auch die Zahl weit
danebengegriffen. Heute geht die historische Hexenforschung von
wesentlich geringeren Zahlen aus. Wolfgang Behringer übernimmt von
Thomas A. Brady eine Schätzung von zwischen 40- und 50 000 Opfern, hat
aber selbst als Untergrenze eine konservative Schätzung von 30 000
Opfern vorgelegt.[4] Franz Irsigler hält eine Schätzung von 60- bis 80
000 Opfer für plausibel, wobei er für die zweite Zahl hohe
Aktenverluste voraussetzt.[5]
Die wahrscheinlich tatsächliche Zahl der Opfer und die von Deschner
anklagend vorgebrachte liegen also um mehre Größenordnungen
auseinander und nicht nur um eine paar Prozentpunkte. Angesichts der
Schwere des in der "Demaskierung des Christentums" angeklagten Delikts
ist das nicht ein Fehler, den man als unbedeutend und unvermeidlich
einfach abtun kann.
**Die Quellen**
Ein weiterer Topos der Deschnerverteidigung ist der Hinweis auf die
große Zahl von Fußnoten und Quellenangaben, deren schiere Zahl zu
beeindrucken scheint. Schon Friedrich Heer (zitiert in dem Vorwort von
1972) war beeindruckt:
Deschner hat die von ihm benützten Bücher - es sind deren gegen
tausend! - wirklich verarbeitet und ist mit der neuesten Diskussion
vertraut. Neben der Literatur hat er viele Quellen gelesen. Alle
Angaben sind durch Fußnoten belegt.
Ähnlich bezogen auf die Kriminalgeschichte des Christentums Prof.
Dr. Ludger Lütkehaus:
Fast 2000 Sekundärtitel, 130 Seiten kontrollierbarer Quellenangaben
und Anmerkungen, [...] - das alles spricht eine deutliche Sprache:
Der Autor weiß bei aller Anerkennung, die er gefunden hat [...], daß
man ihm nicht gerne, jedenfalls nicht freiwillig glauben wird.
Beeindruckt ist auch Prof. Dr. Richard Völkl:
Vor allem aber beweist der Autor an Hand einer immensen Quellen- und
Literaturverwertung, was er sagt.
Die Zahl von neun Millionen wird von Deschner gleich durch zwei
"unwiderlegbare Quellen" belegt.
Zum einen verweist er auf die 1907 erschienene Druckfassung eines
Vortrags von Friedrich Delitzsch zu den "Bedeutsamsten Ergebnissen der
Babylonisch-Assyrischen Grabungen" (Leipzig 1907), der in einer
Klammerbemerkung die Zahl und das Sprachmaterial für Deschner
liefert. Im Rahmen der Darstellung und Bewertung des abendländischen
Hexenwahns führt Delitzsch (S. 44) aus:
[...] hier im Abendland wurden ungezählte Tausende (man rechnet 9
Millionen!) unschuldiger Menschen, darunter die Edelsten ihrer
Nationen, wie Huss, Jeanne d'Arc, Giordano Bruno, auf Grund von
Lügenzeugnissen mit teuflisch ersonnenen Folterqualen gemartert und
auf den Scheiterhaufen gebracht [...]
Mehr hat Delitzsch zur Herleitung der Zahl von 9 Millionen Opfer nicht
zu sagen und er führt auch keinen Beleg dafür an. Bemerkenswert ist
allerdings noch, daß es Deschner trotz "eingehenden Quellenstudiums"
(Eltz-Hoffmann) nicht aufgefallen ist, daß Delitzsch entweder nicht
nur von den Opfern der _Hexenverfolgung_ spricht oder seine Kenntnisse
der Kirchengeschichte doch erhebliche Mängel vorweisen müssen, da
weder Huss noch Giordano Bruno wegen Hexerei verurteilt wurden.
Delitzsch belegt die Zahl von 9 Millionen, wie schon gesagt, nicht,
allerdings verweist er später auf den von Plitt-Zöckler verfaßten
Artikel "Hexen und Hexenprozesse" der 3. Auflage der Realencyklopädie
für protestantische Theologie und Kirche (Leipzig 1900). Dieser nennt
(S. 34) "nach mäßigster Schätzung gegen 100 000, nach höher greifenden
Annahmen mehrere Millionen" Opfer, kommt als Quelle für die neun
Millionen also nicht in Frage.
Die zweite "unwiderlegbare" Quelle Deschners ist "Der gehenkte
Gott. Zur Archäologie der Kultur" von Erich Zehren (Berlin 1959). Es
handelt sich dabei um ein populärwissenschaftliches Werk, dessen Autor
Altertumskunde, Religionswissenschaften und eine Theorie des
Unbewußten verbindet, um die These zu belegen, daß es sich bei
Christus um den Mond und beim Christentum also um eine Mondreligion
handele.
Zehren schließt sein Werk, indem er mit einigem Pathos das Ausbleiben
der Wiederkunft Jesu betont (S. 317):
Er kam nicht, als in seinem Namen neuneinhalb Millionen Christen von
Christen im Laufe der Zeit gepeinigt, gefoltert und am Pfahl
verbrannt wurden. Und er erschien auch nicht, als im
mittelalterlichen Hexenwahn annähernd weitere neun Millionen
Menschen, vorwiegend Frauen, ihr Leben als brennende Fackeln
beendeten.
Dies ist also die zweite Quelle, mit der Deschner seine Zahl
belegt. Wie schon bei der ersten handelt es sich nicht um ein
wissenschaftliches Werk, das sich gezielt mit der Frage der
Hexenverfolgung beschäftigt, oder wenigstens von einem Spezialisten
für die historische Epoche verfaßt wurde, sondern vielmehr um eine
kurze Erwähnung, die mit dem eigentlichen Forschungsgebiet des Autoren
nichts zu tun hat, was auch daran erkennbar ist, daß er nicht zu
wissen scheint, daß sich bei der Hexenverfolgung wesentlich auch um
ein neuzeitliches Phänomen handelt.
Zehren selbst belegt seine Angabe mit dem Verweis auf das von Hans
Friedrich Karl Günther unter dem Pseudonym Heinrich Ackermann
veröffentlichte Werk "Jesus, seine Botschaft und deren Aufnahme im
Abendland", in dem Günther die ursprüngliche Botschaft Jesus zu
rekonstruieren und die "Unvereinbarkeit orientalischer Frömmigkeit mit
indogermanischer Frömmigkeit" nachzuweisen sucht. Hans Friedrich Karl
Günther war einer der wichtigsten nationalsozialistischen
"Rassenkundler", der nach 1945 als Privatgelehrter arbeitete und zum
Teil unter Pseudonym veröffentlichte.
Es ist nicht nur falsch, daß der Hexenverfolgung neun Millionen
Menschen zum Opfer fielen. Es ist auch falsch, daß man zur Zeit der
Abfassung von "Abermals krähte der Hahn" allgemein so annahm. Wie der
Hinweis auf den Lexikonartikel von Plitt-Zöckler schon deutlich
machte, war die Zahl umstritten, und es gab es auch andere
Schätzungen.
Die Zahl von neun Millionen geht zunächst auf "abstruse
Fehlberechnungen des Quedlinburger Stadtsyndikus Gottfried Christian
Voigt" (Nils Freytag[6]) zurück und hat dann ihren Weg durch die
antikatholische Polemik des Kulturkampfs über die
nationalsozialistische Propaganda bis in die heutige Zeit
angetreten.[7] Demgegenüber stand - unter anderem - die Zahl von 100
000 Opfern, die - ohne alle Grundlagen - zum ersten mal von Voltaire
genannt wurde, und im Kulturkampf zum Teil von katholischen Autoren
übernommen wurde.[8] Auch wenn zur Zeit der Abfassung von "Abermals
krähte der Hahn" Deschner die Ergebnisse der modernen Hexenforschung
natürlich nicht kennen konnte, hätte er als sorgfältiger Forscher doch
schon damals die polemische Stoßrichtung der Zahl von neun Millionen
erkennen und zumindest die Existenz anderer, deutlich verschiedener
Schätzungen erwähnen müssen.
**Die "Hexenbulle"**
Deschner stellt einen direkten kausalen Bezug zwischen der Bulle
"Summis desiderantes affectibus" und der Vernichtung von neun
Millionen Menschen her. Um den Zusammenhang deutlicher zu machen,
zitiere ich den ganzen Absatz:
Die offizielle kirchliche Beglaubigung aber erhielt der Hexenwahn
durch Papst Innozenz VIII. in der Bulle "Summis desiderantes
affectibus", der "Hexenbulle" vom 5. Dezember 1484. "Wir haben
neulich nicht ohne große Betrübnis erfahren, daß es in einzelnen
Teilen Oberdeutschlands, in Städten und Dörfern, viele Personen
beiderlei Geschlechts gebe, die mit buhlerischen Nachtgeistern sich
leiblich vermischen, durch zauberische Mittel mit Hilfe des Teufels
die Geburten der Weiber, die Fruchtbarkeit der Tiere, die Früchte
der Erde zugrunde richten und vernichten ... und die Männer am
Zeugen, die Weiber am Gebären, beide in der Verrichtung ehelicher
Pflichten zu hindern vermögen". Am Schluß seines Erlasses verbot der
Stellvertreter Christi jedermann unter Androhung schrecklicher
Strafen, der von ihm befohlenen Hexenausrottung
entgegenzutreten. "Wenn aber jemand sich dieses zu erkühnen
unternehmen würde, der soll wissen, daß er den Zorn des allmächtigen
Gottes und seiner Heiligen Apostel Petri und Pauli auf sich laden
werde." Das war die Stimme vom Heiligen Stuhl, der, so rechnet man,
neun Millionen Menschen schuldlos zum Opfer fielen.
Zunächst können wir aus diesem Absatz mehr über das "eingehende
Quellenstudium" Deschners lernen. Als Quelle gibt er nämlich an:
"Zit. bei J. W. R. Schmidt, S. XLI. Vgl. auch Delitzsch, Mehr Licht,
43". Tatsächlich - wie schon ein Vergleich der Übersetzungen deutlich
macht - hat er aber den ersten, längeren Teil des Zitats aus Delitzsch
übernommen und nur den zweiten, kürzeren aus der Schmidtschen Ausgabe
des Hexenhammers. Ganz ordentlich zeigt er nämlich eine Auslassung
gegenüber dem Zitat, wie es sich auf der angegeben Seite bei Delitzsch
findet, durch ein Auslassungszeichen an, unterläßt es aber, auf die
Auslassungen, die Delitzsch dem Original gegenüber vornimmt,
hinzuweisen.
Wichtiger aber ist, daß der unbedarfte Leser einen ganz falschen
Eindruck vom Inhalt der "Hexenbulle" gewinnen muß:
- In ihr wurde der Ausrottung der Hexen befohlen.
- In ihr wurden jedermann, der der Hexenausrottung entgegentrat,
schreckliche Strafen angedroht.
- Da _dieser_ Stimme neun Millionen Menschen zum Opfer fielen, scheint
die Bulle sich auf das ganze christliche Europa zu beziehen und für
alle kommenden Zeiten die Ausrottung der Hexen anzuordnen.
Alle diese drei Punkte sind falsch:[9]
- Die Bulle befiehlt nicht die Ausrottung der Hexen, sondern ernennt
bzw. bestätigt zwei namentlich genannte Inquisitoren (Heinrich
Institoris und Jakob Sprenger) in ihrem Amt für bestimmte Teile
Deutschlands gegen Versuche, ihre Vollmachten regional oder von den
Befugnissen her einzuschränken. Diese Vollmachten umfassen die
"Bestrafung, Inhaftnahme und Besserung" von Personen, die sich der
Hexerei schuldig gemacht haben.
- In der Bulle werden niemandem, der der Hexenausrottung
entgegentritt, Strafen angedroht. Es wird der Bischof von Straßburg
(nur dieser) aufgefordert, diejenigen, die den genannten Inquisitoren
entgegentreten und sie in der Ausübung ihres Amtes behindern, "durch
den Bann, die Aufhebung und Verbott, und andere noch schröcklichere
Urtheile, Ahndungen und Straffen, welche ihm belieben werden" zu
bezäumen. (Ob der Bischof von Straßburg dieser Aufforderung gefolgt
ist, ist mir unbekannt.) Dies ist die einzige Stelle, in der in der
Bulle - wie bei Deschner - von "schrecklichen Strafen" die Rede
ist. Bei der von Deschner zitierten Teil der Schlußformel der Bulle
handelt es sich um keinerlei Strafandrohung, sondern den völlig
formelhaften Abschluß einer päpstlichen Bulle, der sich so in
hunderten von Bullen findet und letztlich nur die Gültigkeit der Bulle
betont. Wie wenig die Zeitgenossen der Bulle einer Strafandrohung an
_jedermann_ beeindruckt waren, zeigt unter anderem die Tatsache, daß
der Bischof von Brixen, Georg Golser, nachdem er 1485 die Bulle
veröffentlicht hatte, 1486 Heinrich Institoris zum Verlassen seiner
Diözese aufforderte.[10]
- Welche Auswirkung auch immer die Bulle gehabt haben mag, es handelt
sich dabei nur um die Bestätigung bzw. Ernennung von zwei namentlich
genannten (sterblichen) Inquisitoren für einen geographisch
beschränkten Teil Deutschlands.
**Die "Hexenbulle" und der Hexenhammer**
Von der Hexenbulle leitet Deschner auf folgende Weise zum Hexenhammer
über:
Nur eine Art Kommentar zur Hexenbulle, die dem Wahn die unantastbare
Sanktion der Kirche gab, bildet der 1489 erschienene, fast dreißig
Auflagen erlebende "Hexenhammer" (Malleus maleficorum). Mit ihm
wollten seine Verfasser, die vom Papst beauftragten
Dominikanermönche Heinrich Institoris und Jakob Sprenger, den
Widerstand von Fürsten und Bischöfen im Anfangsstadium der
Verfolgung brechen.
Abgesehen von der Übertreibung, die darin besteht, die durch die
"Hexenbulle" ohne Zweifel gegebene Sanktion des Hexenwahns als
"unantastbar" zu bezeichnen, und davon, daß die Mitautorenschaft
Sprengers umstritten ist,[11] führt auch dieser Abschnitt den
unbedarften Leser in die Irre:
- Zum einen wird behauptet, das (Mach-)Werk bilde nur "eine Art
Kommentar zur Hexenbulle"[12], was suggeriert, der Hexenhammer füge
der Bulle inhaltlich wenig hinzu.
- Zum anderen erweckt die Stelle den Eindruck, die beiden Mönche seien
vom Papst zur Verfassung des Hexenhammers beauftragt worden: Da es im
zitierten Abschnitt eben um den Hexenhammer geht, nicht direkt gesagt
wird, womit der Papst die beiden beauftragt hat, und nirgends erwähnt
wird, um was es in der Bulle wirklich geht (die Ernennung
bzw. Bestätigung der beiden als Inquisitoren), bleibt nur der Schluß,
daß sich die Beauftragung auf den Hexenhammer bezieht. (Jedenfalls
erfährt der Leser mit keinem Wort, in welcher Beziehung die Bulle und
die beiden Mönche tatsächlich stehen.)
Beide zumindest nahegelegten Eindrücke sind falsch:
- Der umfangreiche Hexenhammer geht inhaltlich weit über die Bulle
hinaus. Weder finden sich in der Bulle irgendwelche Prozeßvorschriften
(der ganze dritte Teil des Hexenhammers ist der Prozeßordnung
gewidmet), noch irgendeinen Hinweis darauf, daß es mehr Hexen unter
Frauen als unter Männern gibt (was im Hexenhammer ausführlich in der
sechsten Frage "begründet" wird), noch Hinweise auf Heilmittel gegen
erfolgte oder versuchte Hexerei (Themen, denen sich der zweite Teil
des Hexenhammers ausführlich widmet). Auch gibt es eine ganz Reihe von
Formen der Hexerei, die in der Bulle nicht erwähnt werden, aber im
Hexenhammer breit beschrieben werden.[13] Im übrigen ist der
Hexenhammer in keiner Weise im wörtlichen Sinn ein Kommentar der
Bulle, und gibt solches auch nicht vor. Er bezieht sich nur an sehr
wenigen Stellen auf den Text der Bulle, und geht selbst da, wo er es
tut, teilweise weit über diesen hinaus.[14]
- Es gibt keinerlei Hinweis darauf, daß der Hexenhammer in irgendeiner
Weise vom Papst in Auftrag gegeben wurde. Auch im Hexenhammer selbst
wird nichts dergleichen behauptet.
**Fazit**
Deschner hat in seiner Kirchenkritik eine völlig übertriebene Zahl von
Opfern der Hexenverfolgungen verwendet. Diese Zahl hat er mit zwei
ungeeigneten und unzuverlässigen "tertiäre" Quellen zu belegen
versucht und so nur den Anschein von Wissenschaftlichkeit
erweckt. Eine in der damaligen Diskussion bekannte alternative, der
Wahrheit deutlich nähere Schätzung hat er entweder nicht gekannt oder
verschwiegen. Die polemisch-propagandistische Funktion, die die
Schätzung von neun Millionen von Anfang an und insbesondere auch im
Kulturkampf und Nationalsozialismus hatte, hat er weder
problematisiert noch überhaupt angesprochen. Nicht nur ist die Zahl
als solche falsch, sondern auch der Kontext, in dem sie Deschner
unterbringt, informiert nicht historisch, sondern läßt ein
propagandistisch verwertbares falsches Bild der Rolle von Innozenz
VIII. und seiner Bulle "Summis desiderantes affectibus" entstehen. Wer
bei Kirchenkritik auf sachliche Information und historische
Korrektheit keinen Wert legt, wird in Deschner also wertvolles
Material finden.
Footnotes:
[1] http://www.deschner.info/de/resonanz/stimmen.htm (17.7.04)
[2] Auch die folgenden Zitate Deschners finden sich alle auf der
angegebene Seite der angegeben Ausgabe bzw. in den zugehörigen
Anmerkungen.
[3] Gegen die monokausale Schuldzuschreibung an die Kirche z.B: Franz
Irsigler, Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert. Eine
Einführung, in: Gunther Franz und Franz Irsigler (Hgg.), Trierer
Hexenprozesse - Quellen und Darstellungen, S. 3-20, hier S. 7 und -
mit der Darstellung eines weiten Faktorenbündels - S. 9-20.
[4] Wolfgang Behringer, Neun Millionen Hexen, in: GWU 49 (1998)
S. 664-685, hier 682 f.
[5] Franz Irsigler op. cit. S. 4-7
[6] Nils Freytag, Hexenverfolgungen in der deutschen
Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts
http://www.sfn.uni-muenchen.de/hexenverfolgung/art848.htm
(17.7.04). Details in Wolfgang Behringer op. cit. 666-669.
[7] Detailliert in Wolfgang Behringer op. cit. 670-681.
[8] Wolfgang Behringer op. cit. 666 u. 671 f.
[9] Der Text der Bulle findet sich Lateinisch und Deutsch in Jakob
Sprenger, Heinrich Institoris, Der Hexenhammer (Malleus maleficarum),
hg. v. J.W.R. Schmidt, Berlin 1906, S. XXXII-XLI. Nur die deutsche
Übersetzung in Wolfgang Behringer, Hexen und Hexenprozesse in
Deutschland, München 1988, S. 88-92
[10] Ekkart Sauser, Artikel "Golser, Georg" in: Bautz, Kirchenlexikon,
Band XX, online http://www.bautz.de/bbkl/g/golser_g.shtml (Letzte
Änderung: 20.05.2002)
[11] Bestritten z.B. in Walter Senner, Artikel "Sprenger, Jakob" in:
Bautz, Kirchenlexikon, Band X, online:
http://www.bautz.de/bbkl/s/sprenger_j.shtml (Letzte Änderung:
30.06.1999)
[12] Die Formulierung ist wohl von J.W.R. Schmidt, op. cit. S. XXXII,
übernommen: "Der Hexenhammer bildet zu jenem verhängnisvollem
Dokumente [der "Hexenbulle"] nur den Kommentar [...]".
[13] Vgl. dazu die folgende Anmerkung.
[14] Als Beispiel betracht man folgenden Ausschnitt aus Jakob Sprenger,
Heinrich Institoris op. cit. S. 107:
[...] deshalb sind auch diejenigen unter den Ehrgeizigen mehr
infiziert, die für die Erfüllung ihrer bösen Lüste mehr entbrennen;
[...] und zwar aus siebenfacher Hexerei, wie in der Bulle (Summis
desiderantes) berührt wird, indem sie den Liebesakt und die
Empfängnis im Mutterleibe mit verschiedenen Behexungen infizieren:
erstens, daß sie die Herzen der Menschen zu außergewöhnlicher Liebe
etc. verändern, zweitens, daß sie die Zeugungskraft hemmen;
drittens, die zu diesem Akt gehörigen Glieder entfernen; viertens
die Menschen durch Gaukelkunst in Tiergestalten verwandeln;
fünftens, die Zeugungskraft seitens der weiblichen Wesen vernichten;
sechstens, Frühgeburten bewirken; siebtens, die Kinder den Dämonen
opfern; abgesehen von den vielen Schädigungen, die sie anderen,
Tieren und Feldfrüchten, zufügen.
Im Vergleich dazu den _vollständigen_ Text der Beschreibung der
Hexerei in der Bulle, ebd. S. XXXVII f.:
Gewißlich ist es neulich nicht ohne grosse Beschwehrung zu unsern
Ohren gekommen, wie daß in einigen theilen des Oberteutschlands, wie
auch in denen Meyntzischen, Cölnischen, Trierischen,
Saltzburgerischen [und Bremer, fehlt im Orginal] Ertzbistümern,
Städten, Ländern, Orten und Bistümern sehr viele Personen beyderley
Geschlechts, ihrer eigenen Seligkeit vergessend, und von dem
Catholischen Glauben abfallend, mit denen Teufeln, die sich als
Männer oder Weiber mit ihnen vermischen, Mißbrauch machen, und mit
ihren Bezauberungen, Liedern und Beschwehrungen, und anderen
abscheulichen Aberglauben und zauberischen Übertretungen, Lastern
und Verbrechen, die Geburten der Weiber, die Jungen der Thiere, die
Früchten der Erde, die Weintrauben und Baumfrüchte, wie auch die
Menschen, die Frauen, die Thiere, das Vieh, und andre
unterschiedener Arten Thiere, auch die Weinberge, Obstgarten,
Wiesen, Weyden, [Getreide, fehlt im Orginal] Korn und andern
Erdfrüchten, verderben, ersticken und umkommen machen und
verursachen, und selbst die Menschen, die Weiber, allerhand groß und
klein Vieh und Thiere mit grausamen sowohl innerlich als äusserlich
Schmertzen und Plagen belegen und peinigen, und eben dieselbe
Menschen, daß sie nicht zeugen, und die Frauen, daß sie nicht
empfangen, und die Männer, daß sie denen Weibern, und die Weiber,
daß sie denen Männern, die eheliche Werke nicht leisten können,
verhindern. Über dieses den Glauben selbst, welchen sie bey
Empfangung der heiligen Tauffe angenommen haben, mit Eydbrüchigen
Munde verläugnen. Und andere überaus viele Leichtfertigkeiten,
Sünden und Lastern, durch Anstifftung des Feindes des menschlichen
Geschlechts zu begehen und zu vollbringen, sich nicht förchten, zu
der Gefahr ihrer Seelen, der Beleidigung Göttlicher Majestät, und
sehr vieler schädlicher Exempel und Ärgerniß.
Weder ist in der Bulle von "siebenfacher Hexerei die Rede, noch davon,
was der Hexenhammer zu erstens, drittens, viertens, sechstens
(wenigstens nicht direkt) und siebtens ausführt.
daß die Behauptung Deschners, die Hexenverfolgung habe neun Millionen
Menschen das Leben gekostet, ein negatives Licht auf seine
Verläßlichkeit als Historiker wirft. Ich möchte das etwas
detaillierter begründen.
Konstruktive Kritik und Ergänzungen sind herzlich willkommen!
**Der Mythos Deschner**
Ist Deschner als Historiker verläßlich? Wenn man seinen Verteidigern
trauen dürfte, sogar mehr als man dies von einen Wissenschaftler
normalerweise erwarten würde:
Frank Markopoulos <***@t-online.de> in message
<***@fm666.dialin.t-online.de>:
Deschner _ist_ nicht zu widerlegen - das klappt nur mit ad-personam-
Attacken und hilfloser Häme.
Die "Unwiderlegbarkeit" Deschners ist ein Topos der
Deschnerverteidigung. Ein paar Beispiele:
Ein gewisser Engelbert Blaß schrieb in einer Kundenrezension bei
Amazon, die von ungefähr 25 weiteren Online-Buchhandlungen übernommen
wurde:
Bezeichnend ist, daß Deschner bis zum heutigen Tage niemals ein von
ihm niedergeschriebener geschtlicher Fakt widerlegt werden konnte.
Ähnlich ein weiterer Rezensent (welscherpaulus2s) bei Amazon:
Deschner ist berühmt, ja geradezu berüchtigt, für seine
Detailkenntnisse, die auch in diesem Fall (wie bei sämtlichen seiner
Werke zuvor) nicht zu entkräften sein werden.
Ein gewisser HJ, im Rundbrief vom Juli 2000 des Internationaler Bund
der Konfessionslosen und Atheisten weiß folgendes:
Der bekannte Kirchenhistoriker Karlheinz Deschner, bei dem sich laut
Ankündigung der Lokalzeitung "die Geister scheiden", dem aber, da er
vorzugsweise aus christlichen Quellen zitiert, zum Leidwesen der
Kirchen keine Falschdarstellung nachgewiesen werden kann, hatte am
Mittwoch, den 3. November 1999 einen Auftritt [...] in Bochum.
Der Topos ist aber älter und wurde auch von bekannteren Autoren
benutzt, die auf der "in Zusammenarbeit mit Dr. Karlheinz Deschner"
erstellten Webseite http://www.deschner.info zitiert werden.[1]
So Prof Dr. med. Hoimar von Ditfurth:
Keinem einzigen der von Deschner reportierten historischen Fakten
ist kirchlicherseits bisher widersprochen worden!
Oder Prof. Dr. med. Udo Köhler:
Da diese dunkle, meist verschwiegene, bei Bedarf aber auch
glorifizierte, immer jedoch verfälschte Seite der Geschichte noch
nie auf der Basis unanfechtbarer Fakten wissenschaftlich exakt
dargestellt und ethisch unanfechtbar kritisiert worden ist, gebührt
dem Autor für seine Arbeit an diesem gewaltigen, zutiefst humanen
Projekt der Dank der gesamten kultivierten Menschheit.
Und Lieselotte von Eltz-Hoffmann:
Die geradezu atemberaubenden Schilderungen, deren Tatsachengehalt
nicht bestritten werden kann, stellen eine einzige unerbittliche
Anklage gegen das Christentum dar [...]
Vorsichtiger Prof. Dr. Friedrich Heer:
Was das Sachliche anbetrifft, so dürfte es schwerhalten, Deschner
fehlerhafte Behauptungen nachzuweisen.
Und Peter Roos:
Gegen diese schlimme Faktensammlung wird historisch nur schwer zu
argumentieren sein.
Hoimar von Ditfurth wird auch auf dem Klappentext von "Der Moloch -
eine kritische Geschichte der USA" mit einer kleinen, bemerkenswerten
Variation angeführt:
Keinem einzigen der von Deschner reportierten historischen Fakten
ist bisher widersprochen worden
An dem Topos ist Deschner wahrscheinlich nicht ganz
unschuldig. Abgesehen, daß er entsprechende Äußerungen auf seiner
Webseite anführt und in Klappentexten verwenden läßt, ist er
möglicherweise sogar der Ursprung des Mythos. Jedenfalls hat er im
Vorwort zur zweiten und dritten Auflage von "Abermals krähte der Hahn"
ausgeführt:
Da bisher an meiner Darstellung nichts widerlegt worden ist, ist
auch nichts zu ändern.
Dieses Vorwort findet sich unverändert in der Auflage von 1972, und da
auch in dieser inhaltlich nichts geändert wurde, könnte ja man
vermuten, daß bis dahin noch immer nichts widerlegt wurde. In der
weiter (inhaltlich) unveränderten Taschenbuchauflage von 1996 findet
sich diese Vorwort nicht mehr, aber dafür preist der Verlag auf der
Vortitelseite das Buch mit folgenden Worten an:
Denn nicht nur die Fülle der vorgelegten Fakten und die
unwiderlegbaren Quellen, sondern auch sein unerschrockener Mut
machen dieses Werk zu einem geistigen Ereignis von unbestreitbarer
Bedeutung.
Und auf der Rückseite wird noch die Aktualität betont:
Die Fülle der vorgelegten Fakten [...] machen dieses Buch zu einem
ebenso aktuellen wie unverzichtbaren Standardwerk der
Kirchengeschichte.
**Ein "Faktum"**
Natürlich sind Behauptungen wie die von Hoimar von Ditfurth oder
Engelbert Blaß bei einem Werk vom Umfang der historischen Arbeiten
Deschners und angesichts des Alters einiger dieser Arbeiten einfach
eines: lächerlich. Natürlich wurden vielen angeblichen Fakten
widersprochen und wurden einige, soweit das in der historischen oder
exegetischen Forschung überhaupt möglich ist, widerlegt.
Ein solches Faktum möchte ich hier betrachten.
Auf Seite 487 der Ausgabe von 1972 schließt Deschner ein Zitat aus der
Bulle "Summis desiderantes affectibus" mit folgendem Satz ab:[2]
Das war die Stimme vom Heiligen Stuhl, der, so rechnet man, neun
Millionen Menschen schuldlos zum Opfer fielen.
Deschner macht sich also die Behauptung zu eigen, der Hexenverfolgung
seien neun Millionen Menschen zum Opfer gefallen.
Wenn wir einmal davon absehen, daß schon die monokausale
Schuldzuschreibung _aller_ Opfer der Hexenverfolgung an den Heiligen
Stuhl historisch unhaltbar ist,[3] ist auch die Zahl weit
danebengegriffen. Heute geht die historische Hexenforschung von
wesentlich geringeren Zahlen aus. Wolfgang Behringer übernimmt von
Thomas A. Brady eine Schätzung von zwischen 40- und 50 000 Opfern, hat
aber selbst als Untergrenze eine konservative Schätzung von 30 000
Opfern vorgelegt.[4] Franz Irsigler hält eine Schätzung von 60- bis 80
000 Opfer für plausibel, wobei er für die zweite Zahl hohe
Aktenverluste voraussetzt.[5]
Die wahrscheinlich tatsächliche Zahl der Opfer und die von Deschner
anklagend vorgebrachte liegen also um mehre Größenordnungen
auseinander und nicht nur um eine paar Prozentpunkte. Angesichts der
Schwere des in der "Demaskierung des Christentums" angeklagten Delikts
ist das nicht ein Fehler, den man als unbedeutend und unvermeidlich
einfach abtun kann.
**Die Quellen**
Ein weiterer Topos der Deschnerverteidigung ist der Hinweis auf die
große Zahl von Fußnoten und Quellenangaben, deren schiere Zahl zu
beeindrucken scheint. Schon Friedrich Heer (zitiert in dem Vorwort von
1972) war beeindruckt:
Deschner hat die von ihm benützten Bücher - es sind deren gegen
tausend! - wirklich verarbeitet und ist mit der neuesten Diskussion
vertraut. Neben der Literatur hat er viele Quellen gelesen. Alle
Angaben sind durch Fußnoten belegt.
Ähnlich bezogen auf die Kriminalgeschichte des Christentums Prof.
Dr. Ludger Lütkehaus:
Fast 2000 Sekundärtitel, 130 Seiten kontrollierbarer Quellenangaben
und Anmerkungen, [...] - das alles spricht eine deutliche Sprache:
Der Autor weiß bei aller Anerkennung, die er gefunden hat [...], daß
man ihm nicht gerne, jedenfalls nicht freiwillig glauben wird.
Beeindruckt ist auch Prof. Dr. Richard Völkl:
Vor allem aber beweist der Autor an Hand einer immensen Quellen- und
Literaturverwertung, was er sagt.
Die Zahl von neun Millionen wird von Deschner gleich durch zwei
"unwiderlegbare Quellen" belegt.
Zum einen verweist er auf die 1907 erschienene Druckfassung eines
Vortrags von Friedrich Delitzsch zu den "Bedeutsamsten Ergebnissen der
Babylonisch-Assyrischen Grabungen" (Leipzig 1907), der in einer
Klammerbemerkung die Zahl und das Sprachmaterial für Deschner
liefert. Im Rahmen der Darstellung und Bewertung des abendländischen
Hexenwahns führt Delitzsch (S. 44) aus:
[...] hier im Abendland wurden ungezählte Tausende (man rechnet 9
Millionen!) unschuldiger Menschen, darunter die Edelsten ihrer
Nationen, wie Huss, Jeanne d'Arc, Giordano Bruno, auf Grund von
Lügenzeugnissen mit teuflisch ersonnenen Folterqualen gemartert und
auf den Scheiterhaufen gebracht [...]
Mehr hat Delitzsch zur Herleitung der Zahl von 9 Millionen Opfer nicht
zu sagen und er führt auch keinen Beleg dafür an. Bemerkenswert ist
allerdings noch, daß es Deschner trotz "eingehenden Quellenstudiums"
(Eltz-Hoffmann) nicht aufgefallen ist, daß Delitzsch entweder nicht
nur von den Opfern der _Hexenverfolgung_ spricht oder seine Kenntnisse
der Kirchengeschichte doch erhebliche Mängel vorweisen müssen, da
weder Huss noch Giordano Bruno wegen Hexerei verurteilt wurden.
Delitzsch belegt die Zahl von 9 Millionen, wie schon gesagt, nicht,
allerdings verweist er später auf den von Plitt-Zöckler verfaßten
Artikel "Hexen und Hexenprozesse" der 3. Auflage der Realencyklopädie
für protestantische Theologie und Kirche (Leipzig 1900). Dieser nennt
(S. 34) "nach mäßigster Schätzung gegen 100 000, nach höher greifenden
Annahmen mehrere Millionen" Opfer, kommt als Quelle für die neun
Millionen also nicht in Frage.
Die zweite "unwiderlegbare" Quelle Deschners ist "Der gehenkte
Gott. Zur Archäologie der Kultur" von Erich Zehren (Berlin 1959). Es
handelt sich dabei um ein populärwissenschaftliches Werk, dessen Autor
Altertumskunde, Religionswissenschaften und eine Theorie des
Unbewußten verbindet, um die These zu belegen, daß es sich bei
Christus um den Mond und beim Christentum also um eine Mondreligion
handele.
Zehren schließt sein Werk, indem er mit einigem Pathos das Ausbleiben
der Wiederkunft Jesu betont (S. 317):
Er kam nicht, als in seinem Namen neuneinhalb Millionen Christen von
Christen im Laufe der Zeit gepeinigt, gefoltert und am Pfahl
verbrannt wurden. Und er erschien auch nicht, als im
mittelalterlichen Hexenwahn annähernd weitere neun Millionen
Menschen, vorwiegend Frauen, ihr Leben als brennende Fackeln
beendeten.
Dies ist also die zweite Quelle, mit der Deschner seine Zahl
belegt. Wie schon bei der ersten handelt es sich nicht um ein
wissenschaftliches Werk, das sich gezielt mit der Frage der
Hexenverfolgung beschäftigt, oder wenigstens von einem Spezialisten
für die historische Epoche verfaßt wurde, sondern vielmehr um eine
kurze Erwähnung, die mit dem eigentlichen Forschungsgebiet des Autoren
nichts zu tun hat, was auch daran erkennbar ist, daß er nicht zu
wissen scheint, daß sich bei der Hexenverfolgung wesentlich auch um
ein neuzeitliches Phänomen handelt.
Zehren selbst belegt seine Angabe mit dem Verweis auf das von Hans
Friedrich Karl Günther unter dem Pseudonym Heinrich Ackermann
veröffentlichte Werk "Jesus, seine Botschaft und deren Aufnahme im
Abendland", in dem Günther die ursprüngliche Botschaft Jesus zu
rekonstruieren und die "Unvereinbarkeit orientalischer Frömmigkeit mit
indogermanischer Frömmigkeit" nachzuweisen sucht. Hans Friedrich Karl
Günther war einer der wichtigsten nationalsozialistischen
"Rassenkundler", der nach 1945 als Privatgelehrter arbeitete und zum
Teil unter Pseudonym veröffentlichte.
Es ist nicht nur falsch, daß der Hexenverfolgung neun Millionen
Menschen zum Opfer fielen. Es ist auch falsch, daß man zur Zeit der
Abfassung von "Abermals krähte der Hahn" allgemein so annahm. Wie der
Hinweis auf den Lexikonartikel von Plitt-Zöckler schon deutlich
machte, war die Zahl umstritten, und es gab es auch andere
Schätzungen.
Die Zahl von neun Millionen geht zunächst auf "abstruse
Fehlberechnungen des Quedlinburger Stadtsyndikus Gottfried Christian
Voigt" (Nils Freytag[6]) zurück und hat dann ihren Weg durch die
antikatholische Polemik des Kulturkampfs über die
nationalsozialistische Propaganda bis in die heutige Zeit
angetreten.[7] Demgegenüber stand - unter anderem - die Zahl von 100
000 Opfern, die - ohne alle Grundlagen - zum ersten mal von Voltaire
genannt wurde, und im Kulturkampf zum Teil von katholischen Autoren
übernommen wurde.[8] Auch wenn zur Zeit der Abfassung von "Abermals
krähte der Hahn" Deschner die Ergebnisse der modernen Hexenforschung
natürlich nicht kennen konnte, hätte er als sorgfältiger Forscher doch
schon damals die polemische Stoßrichtung der Zahl von neun Millionen
erkennen und zumindest die Existenz anderer, deutlich verschiedener
Schätzungen erwähnen müssen.
**Die "Hexenbulle"**
Deschner stellt einen direkten kausalen Bezug zwischen der Bulle
"Summis desiderantes affectibus" und der Vernichtung von neun
Millionen Menschen her. Um den Zusammenhang deutlicher zu machen,
zitiere ich den ganzen Absatz:
Die offizielle kirchliche Beglaubigung aber erhielt der Hexenwahn
durch Papst Innozenz VIII. in der Bulle "Summis desiderantes
affectibus", der "Hexenbulle" vom 5. Dezember 1484. "Wir haben
neulich nicht ohne große Betrübnis erfahren, daß es in einzelnen
Teilen Oberdeutschlands, in Städten und Dörfern, viele Personen
beiderlei Geschlechts gebe, die mit buhlerischen Nachtgeistern sich
leiblich vermischen, durch zauberische Mittel mit Hilfe des Teufels
die Geburten der Weiber, die Fruchtbarkeit der Tiere, die Früchte
der Erde zugrunde richten und vernichten ... und die Männer am
Zeugen, die Weiber am Gebären, beide in der Verrichtung ehelicher
Pflichten zu hindern vermögen". Am Schluß seines Erlasses verbot der
Stellvertreter Christi jedermann unter Androhung schrecklicher
Strafen, der von ihm befohlenen Hexenausrottung
entgegenzutreten. "Wenn aber jemand sich dieses zu erkühnen
unternehmen würde, der soll wissen, daß er den Zorn des allmächtigen
Gottes und seiner Heiligen Apostel Petri und Pauli auf sich laden
werde." Das war die Stimme vom Heiligen Stuhl, der, so rechnet man,
neun Millionen Menschen schuldlos zum Opfer fielen.
Zunächst können wir aus diesem Absatz mehr über das "eingehende
Quellenstudium" Deschners lernen. Als Quelle gibt er nämlich an:
"Zit. bei J. W. R. Schmidt, S. XLI. Vgl. auch Delitzsch, Mehr Licht,
43". Tatsächlich - wie schon ein Vergleich der Übersetzungen deutlich
macht - hat er aber den ersten, längeren Teil des Zitats aus Delitzsch
übernommen und nur den zweiten, kürzeren aus der Schmidtschen Ausgabe
des Hexenhammers. Ganz ordentlich zeigt er nämlich eine Auslassung
gegenüber dem Zitat, wie es sich auf der angegeben Seite bei Delitzsch
findet, durch ein Auslassungszeichen an, unterläßt es aber, auf die
Auslassungen, die Delitzsch dem Original gegenüber vornimmt,
hinzuweisen.
Wichtiger aber ist, daß der unbedarfte Leser einen ganz falschen
Eindruck vom Inhalt der "Hexenbulle" gewinnen muß:
- In ihr wurde der Ausrottung der Hexen befohlen.
- In ihr wurden jedermann, der der Hexenausrottung entgegentrat,
schreckliche Strafen angedroht.
- Da _dieser_ Stimme neun Millionen Menschen zum Opfer fielen, scheint
die Bulle sich auf das ganze christliche Europa zu beziehen und für
alle kommenden Zeiten die Ausrottung der Hexen anzuordnen.
Alle diese drei Punkte sind falsch:[9]
- Die Bulle befiehlt nicht die Ausrottung der Hexen, sondern ernennt
bzw. bestätigt zwei namentlich genannte Inquisitoren (Heinrich
Institoris und Jakob Sprenger) in ihrem Amt für bestimmte Teile
Deutschlands gegen Versuche, ihre Vollmachten regional oder von den
Befugnissen her einzuschränken. Diese Vollmachten umfassen die
"Bestrafung, Inhaftnahme und Besserung" von Personen, die sich der
Hexerei schuldig gemacht haben.
- In der Bulle werden niemandem, der der Hexenausrottung
entgegentritt, Strafen angedroht. Es wird der Bischof von Straßburg
(nur dieser) aufgefordert, diejenigen, die den genannten Inquisitoren
entgegentreten und sie in der Ausübung ihres Amtes behindern, "durch
den Bann, die Aufhebung und Verbott, und andere noch schröcklichere
Urtheile, Ahndungen und Straffen, welche ihm belieben werden" zu
bezäumen. (Ob der Bischof von Straßburg dieser Aufforderung gefolgt
ist, ist mir unbekannt.) Dies ist die einzige Stelle, in der in der
Bulle - wie bei Deschner - von "schrecklichen Strafen" die Rede
ist. Bei der von Deschner zitierten Teil der Schlußformel der Bulle
handelt es sich um keinerlei Strafandrohung, sondern den völlig
formelhaften Abschluß einer päpstlichen Bulle, der sich so in
hunderten von Bullen findet und letztlich nur die Gültigkeit der Bulle
betont. Wie wenig die Zeitgenossen der Bulle einer Strafandrohung an
_jedermann_ beeindruckt waren, zeigt unter anderem die Tatsache, daß
der Bischof von Brixen, Georg Golser, nachdem er 1485 die Bulle
veröffentlicht hatte, 1486 Heinrich Institoris zum Verlassen seiner
Diözese aufforderte.[10]
- Welche Auswirkung auch immer die Bulle gehabt haben mag, es handelt
sich dabei nur um die Bestätigung bzw. Ernennung von zwei namentlich
genannten (sterblichen) Inquisitoren für einen geographisch
beschränkten Teil Deutschlands.
**Die "Hexenbulle" und der Hexenhammer**
Von der Hexenbulle leitet Deschner auf folgende Weise zum Hexenhammer
über:
Nur eine Art Kommentar zur Hexenbulle, die dem Wahn die unantastbare
Sanktion der Kirche gab, bildet der 1489 erschienene, fast dreißig
Auflagen erlebende "Hexenhammer" (Malleus maleficorum). Mit ihm
wollten seine Verfasser, die vom Papst beauftragten
Dominikanermönche Heinrich Institoris und Jakob Sprenger, den
Widerstand von Fürsten und Bischöfen im Anfangsstadium der
Verfolgung brechen.
Abgesehen von der Übertreibung, die darin besteht, die durch die
"Hexenbulle" ohne Zweifel gegebene Sanktion des Hexenwahns als
"unantastbar" zu bezeichnen, und davon, daß die Mitautorenschaft
Sprengers umstritten ist,[11] führt auch dieser Abschnitt den
unbedarften Leser in die Irre:
- Zum einen wird behauptet, das (Mach-)Werk bilde nur "eine Art
Kommentar zur Hexenbulle"[12], was suggeriert, der Hexenhammer füge
der Bulle inhaltlich wenig hinzu.
- Zum anderen erweckt die Stelle den Eindruck, die beiden Mönche seien
vom Papst zur Verfassung des Hexenhammers beauftragt worden: Da es im
zitierten Abschnitt eben um den Hexenhammer geht, nicht direkt gesagt
wird, womit der Papst die beiden beauftragt hat, und nirgends erwähnt
wird, um was es in der Bulle wirklich geht (die Ernennung
bzw. Bestätigung der beiden als Inquisitoren), bleibt nur der Schluß,
daß sich die Beauftragung auf den Hexenhammer bezieht. (Jedenfalls
erfährt der Leser mit keinem Wort, in welcher Beziehung die Bulle und
die beiden Mönche tatsächlich stehen.)
Beide zumindest nahegelegten Eindrücke sind falsch:
- Der umfangreiche Hexenhammer geht inhaltlich weit über die Bulle
hinaus. Weder finden sich in der Bulle irgendwelche Prozeßvorschriften
(der ganze dritte Teil des Hexenhammers ist der Prozeßordnung
gewidmet), noch irgendeinen Hinweis darauf, daß es mehr Hexen unter
Frauen als unter Männern gibt (was im Hexenhammer ausführlich in der
sechsten Frage "begründet" wird), noch Hinweise auf Heilmittel gegen
erfolgte oder versuchte Hexerei (Themen, denen sich der zweite Teil
des Hexenhammers ausführlich widmet). Auch gibt es eine ganz Reihe von
Formen der Hexerei, die in der Bulle nicht erwähnt werden, aber im
Hexenhammer breit beschrieben werden.[13] Im übrigen ist der
Hexenhammer in keiner Weise im wörtlichen Sinn ein Kommentar der
Bulle, und gibt solches auch nicht vor. Er bezieht sich nur an sehr
wenigen Stellen auf den Text der Bulle, und geht selbst da, wo er es
tut, teilweise weit über diesen hinaus.[14]
- Es gibt keinerlei Hinweis darauf, daß der Hexenhammer in irgendeiner
Weise vom Papst in Auftrag gegeben wurde. Auch im Hexenhammer selbst
wird nichts dergleichen behauptet.
**Fazit**
Deschner hat in seiner Kirchenkritik eine völlig übertriebene Zahl von
Opfern der Hexenverfolgungen verwendet. Diese Zahl hat er mit zwei
ungeeigneten und unzuverlässigen "tertiäre" Quellen zu belegen
versucht und so nur den Anschein von Wissenschaftlichkeit
erweckt. Eine in der damaligen Diskussion bekannte alternative, der
Wahrheit deutlich nähere Schätzung hat er entweder nicht gekannt oder
verschwiegen. Die polemisch-propagandistische Funktion, die die
Schätzung von neun Millionen von Anfang an und insbesondere auch im
Kulturkampf und Nationalsozialismus hatte, hat er weder
problematisiert noch überhaupt angesprochen. Nicht nur ist die Zahl
als solche falsch, sondern auch der Kontext, in dem sie Deschner
unterbringt, informiert nicht historisch, sondern läßt ein
propagandistisch verwertbares falsches Bild der Rolle von Innozenz
VIII. und seiner Bulle "Summis desiderantes affectibus" entstehen. Wer
bei Kirchenkritik auf sachliche Information und historische
Korrektheit keinen Wert legt, wird in Deschner also wertvolles
Material finden.
Footnotes:
[1] http://www.deschner.info/de/resonanz/stimmen.htm (17.7.04)
[2] Auch die folgenden Zitate Deschners finden sich alle auf der
angegebene Seite der angegeben Ausgabe bzw. in den zugehörigen
Anmerkungen.
[3] Gegen die monokausale Schuldzuschreibung an die Kirche z.B: Franz
Irsigler, Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert. Eine
Einführung, in: Gunther Franz und Franz Irsigler (Hgg.), Trierer
Hexenprozesse - Quellen und Darstellungen, S. 3-20, hier S. 7 und -
mit der Darstellung eines weiten Faktorenbündels - S. 9-20.
[4] Wolfgang Behringer, Neun Millionen Hexen, in: GWU 49 (1998)
S. 664-685, hier 682 f.
[5] Franz Irsigler op. cit. S. 4-7
[6] Nils Freytag, Hexenverfolgungen in der deutschen
Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts
http://www.sfn.uni-muenchen.de/hexenverfolgung/art848.htm
(17.7.04). Details in Wolfgang Behringer op. cit. 666-669.
[7] Detailliert in Wolfgang Behringer op. cit. 670-681.
[8] Wolfgang Behringer op. cit. 666 u. 671 f.
[9] Der Text der Bulle findet sich Lateinisch und Deutsch in Jakob
Sprenger, Heinrich Institoris, Der Hexenhammer (Malleus maleficarum),
hg. v. J.W.R. Schmidt, Berlin 1906, S. XXXII-XLI. Nur die deutsche
Übersetzung in Wolfgang Behringer, Hexen und Hexenprozesse in
Deutschland, München 1988, S. 88-92
[10] Ekkart Sauser, Artikel "Golser, Georg" in: Bautz, Kirchenlexikon,
Band XX, online http://www.bautz.de/bbkl/g/golser_g.shtml (Letzte
Änderung: 20.05.2002)
[11] Bestritten z.B. in Walter Senner, Artikel "Sprenger, Jakob" in:
Bautz, Kirchenlexikon, Band X, online:
http://www.bautz.de/bbkl/s/sprenger_j.shtml (Letzte Änderung:
30.06.1999)
[12] Die Formulierung ist wohl von J.W.R. Schmidt, op. cit. S. XXXII,
übernommen: "Der Hexenhammer bildet zu jenem verhängnisvollem
Dokumente [der "Hexenbulle"] nur den Kommentar [...]".
[13] Vgl. dazu die folgende Anmerkung.
[14] Als Beispiel betracht man folgenden Ausschnitt aus Jakob Sprenger,
Heinrich Institoris op. cit. S. 107:
[...] deshalb sind auch diejenigen unter den Ehrgeizigen mehr
infiziert, die für die Erfüllung ihrer bösen Lüste mehr entbrennen;
[...] und zwar aus siebenfacher Hexerei, wie in der Bulle (Summis
desiderantes) berührt wird, indem sie den Liebesakt und die
Empfängnis im Mutterleibe mit verschiedenen Behexungen infizieren:
erstens, daß sie die Herzen der Menschen zu außergewöhnlicher Liebe
etc. verändern, zweitens, daß sie die Zeugungskraft hemmen;
drittens, die zu diesem Akt gehörigen Glieder entfernen; viertens
die Menschen durch Gaukelkunst in Tiergestalten verwandeln;
fünftens, die Zeugungskraft seitens der weiblichen Wesen vernichten;
sechstens, Frühgeburten bewirken; siebtens, die Kinder den Dämonen
opfern; abgesehen von den vielen Schädigungen, die sie anderen,
Tieren und Feldfrüchten, zufügen.
Im Vergleich dazu den _vollständigen_ Text der Beschreibung der
Hexerei in der Bulle, ebd. S. XXXVII f.:
Gewißlich ist es neulich nicht ohne grosse Beschwehrung zu unsern
Ohren gekommen, wie daß in einigen theilen des Oberteutschlands, wie
auch in denen Meyntzischen, Cölnischen, Trierischen,
Saltzburgerischen [und Bremer, fehlt im Orginal] Ertzbistümern,
Städten, Ländern, Orten und Bistümern sehr viele Personen beyderley
Geschlechts, ihrer eigenen Seligkeit vergessend, und von dem
Catholischen Glauben abfallend, mit denen Teufeln, die sich als
Männer oder Weiber mit ihnen vermischen, Mißbrauch machen, und mit
ihren Bezauberungen, Liedern und Beschwehrungen, und anderen
abscheulichen Aberglauben und zauberischen Übertretungen, Lastern
und Verbrechen, die Geburten der Weiber, die Jungen der Thiere, die
Früchten der Erde, die Weintrauben und Baumfrüchte, wie auch die
Menschen, die Frauen, die Thiere, das Vieh, und andre
unterschiedener Arten Thiere, auch die Weinberge, Obstgarten,
Wiesen, Weyden, [Getreide, fehlt im Orginal] Korn und andern
Erdfrüchten, verderben, ersticken und umkommen machen und
verursachen, und selbst die Menschen, die Weiber, allerhand groß und
klein Vieh und Thiere mit grausamen sowohl innerlich als äusserlich
Schmertzen und Plagen belegen und peinigen, und eben dieselbe
Menschen, daß sie nicht zeugen, und die Frauen, daß sie nicht
empfangen, und die Männer, daß sie denen Weibern, und die Weiber,
daß sie denen Männern, die eheliche Werke nicht leisten können,
verhindern. Über dieses den Glauben selbst, welchen sie bey
Empfangung der heiligen Tauffe angenommen haben, mit Eydbrüchigen
Munde verläugnen. Und andere überaus viele Leichtfertigkeiten,
Sünden und Lastern, durch Anstifftung des Feindes des menschlichen
Geschlechts zu begehen und zu vollbringen, sich nicht förchten, zu
der Gefahr ihrer Seelen, der Beleidigung Göttlicher Majestät, und
sehr vieler schädlicher Exempel und Ärgerniß.
Weder ist in der Bulle von "siebenfacher Hexerei die Rede, noch davon,
was der Hexenhammer zu erstens, drittens, viertens, sechstens
(wenigstens nicht direkt) und siebtens ausführt.